Prof. Paul Richli warnt, dass das neue Schweiz–EU-Abkommen die gesetzgeberische Eigenständigkeit, den Föderalismus und damit die Grundlage der schweizerischen Wohlfahrt tiefgreifend verändern könnte.
Der emeritierte Staatsrechtler Prof. Dr. iur. Paul Richli bezeichnete das neue Schweiz–EU-Abkommen in einem Vortrag am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) der Universität Luzern am 15. Oktober 2025 als einen Paradigmenwechsel von grosser Tragweite.
Während das Freihandelsabkommen von 1972 und die Bilateralen I von 1999 noch auf Gegenseitigkeit beruhten und rechtliche Anpassungen nur im gegenseitigen Einvernehmen erfolgten, sieht das neue Abkommen eine sektorielle Integration in den europäischen Rechtsraum vor. Damit würde die Schweiz künftig EU-Recht automatisch übernehmen, ohne im gleichen Masse mitbestimmen zu können.
Richli warnte, dass dies das institutionelle Gefüge der Schweiz grundlegend verändern würde. Das Parlament verlöre in weiten Bereichen seine gesetzgeberische Selbständigkeit, die Kantone ihre Regulierungshoheit, und das bewährte Vernehmlassungsverfahren, ein zentraler Pfeiler der direkten Demokratie, verlöre an Bedeutung. Auch Wirtschaft und Verbände, die bisher aktiv in den politischen Prozess eingebunden sind, könnten ihre Rolle künftig nur noch eingeschränkt wahrnehmen.
Diese Entwicklung, so Richli, komme einer materiellen Verfassungsänderung gleich. Sie betreffe nicht nur die Frage der Souveränität, sondern auch die Grundlage der schweizerischen Wohlfahrt: das Zusammenspiel von Eigenverantwortung, Föderalismus und direkter Mitwirkung. Wenn Gesetzgebung und Regulierung zunehmend ausserhalb des Landes festgelegt werden, verliere die Schweiz jene Gestaltungskraft, die ihre soziale und wirtschaftliche Stabilität bislang geprägt habe.
Richli folgerte, dass angesichts dieser weitreichenden Konsequenzen geprüft werden müsse, ob die neuen Verträge dem obligatorischen Referendum mit doppeltem Mehr zu unterstellen seien. Es gehe dabei nicht um eine juristische Formalität, sondern um die Bewahrung der politischen Selbstbestimmung, die das Fundament der schweizerischen Wohlfahrt und demokratischen Kultur bilde.
Quellenangaben
- YouTube – Vortrag von Prof. Dr. iur. Paul Richli (IWP, Universität Luzern) «Das neue Schweiz–EU-Abkommen: Ein Paradigmenwechsel?» – öffentlicher Vortrag vom 15. Oktober 2025 am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) der Universität Luzern.
- Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) – Universität Luzern Offizielle Website mit Publikationen, Forschungsberichten und Veranstaltungen zu wirtschaftspolitischen und rechtlichen Fragen der Schweiz im europäischen Kontext.
- Universität Luzern – Fakultät für Rechtswissenschaften Fakultät, an der Prof. Dr. Paul Richli als Staatsrechtler lehrte; Schwerpunkt Schweizer Verfassungsrecht, Föderalismus und europäische Integration.


